Es gibt verschiedene Möglichkeiten ein Kleidungsstück herzustellen. So kann man zum Beispiel beginnen, es sorgsam zu erdenken, zu konzipieren und skizzieren. Anschließend verwendet man die edelsten Materialien für seine Fertigung aus und bemüht sich um eine ziemlich genaue Umsetzung dessen was man skizziert hat.
Hört sich plausibel und ziemlich einfach an.
Sehen, kaufen, tragen. So radikal herunter gebrochen sieht der Prozess eines Endverbrauchers mit einem Kleidungsstück oftmals aus. Wir sehen ein Stück was uns gefällt, packen es in unseren virtuellen oder auch realen Warenkorb, bezahlen, erfreuen uns an dem Teil und that’s it. Welchen langen Weg und welche Geschichte dieses Teil bereits hinter sich hat, wenn es in unserem Kleiderschrank landet, damit beschäftigt man sich als Kunde in der Regel sehr selten.
Und ich muss sagen, dass ich selbst am Ende super erstaunt bin, wie lang und intensiv der Weg von der ersten Idee bis zum fertigen Produkt bei euch zuhause am Ende eigentlich ist. Dass jedes Kleidungsstück verdammt viel Arbeit ist, wissen wir. Schließlich stecken Wir jeden Tag wahnsinnig viel Kraft, Energie, Zeit und Ressourcen in unsere Kollektion. Wir beschäftigen uns wirklich jeden Tag mit neuen Themen und Herausforderungen – davon bekommt der Kunde kaum was mit.
Jede Kollektionen startet mit viel Recherche, Ideen sammeln, mit offenen Augen durch die Welt gehen und sich von den Dingen, Menschen, Details und Gegebenheiten um einen herum inspirieren lassen. Seitdem wir das Label haben gehe ich ehrlich gesagt auch noch einmal anders durch die Welt und nutze Medien und meine Umwelt ganz anders.
Aus den ersten Ideen und Inspirationen ergibt sich als nächstes ein Moodboard. Hierfür arbeite ich viel mit Bildmaterial, welches ich im Internet recherchiere oder selbst fotografiert habe. Auf dem Moodboard befinden sich Schnitte, Muster, Farben, Details oder Stilrichtungen, die ich spannenden und ansprechend finde. Daraus ergibt sich ein erstes, grobes Konzept. Ich definiere wie viele Teile unsere Kollektion in Etwa haben soll, welche Styles und welches Budget wir überhaupt für diese oder jene Saison zur Verfügung haben. Denn eines muss man sagen: Man kann die tollsten Ideen und verrücktesten Kollektionswünsche haben – am Ende muss auch alles realistisch umsetzbar und finanzierbar sein.
Nachdem das erste grobe Konzept steht, geht es weiter ins Detail. Ich überlege welche Farben, Stoffe und Muster ich für die neue Kollektion spannend finde und in Betracht ziehe. Muss man natürlich auch zwischen Frühjahr/Sommer und Herbst/Winter unterscheiden. Hier fällt wieder einiges an Recherchearbeit an. Welche Trendfarben gibt es in der neuen Saison und welche eigenen sich bspw. im Sommer und welche eher nicht. Gibt es Muster, die beliebt sind und in welchen Farbkombinationen? Am Ende muss ein stimmiges Farb-Konzept erstellt werden, das vielseitig und trotzdem harmonisch ist.
Beim nächsten Schritt gilt es nun die Farben mit den richtigen Materialien und Schnitten zusammen zu bringen. Hierfür überlege ich, welche Schnitte und Elemente Teil der Kollektion werden sollen. Die Auswahl ist groß und hier gilt es eine abwechslungsreiche, tragbare und spannende Mischung zu machen. Welche Schnitte sind relevant, welche Details sollen bestimmte Stücke haben und welche Materialien machen für welches Kleidungsstück und die jeweilige Saison sind. Dicke Wolle im Sommer? Eher nicht so passend. Spagetti Tops im November? Nicht wirklich ideal. Ich fasse alles was ich in Punkt 1, 2 und 3 gesammelt habe in einer Präsentation zusammen, welche von nun an mein wichtigstes Arbeits-Tool ist. Neue Ideen werden hier mit aufgenommen, erste Ansätze ausgearbeitet oder wieder verworfen.
Nun wird es konkreter. Alle bis hierhin gesammelten Ideen fügen sich zu ersten groben Entwürfen und hin und wieder auch konkreten Ideen zusammen. Ich setze mich an diesem Punkt mit unserem Team zusammen. Ich erkläre meine Ideen, zeige meine Visionen und spreche über Möglichkeiten und potentielle Herausforderungen. Mit der Zeit bekommt man langsam aber sich ein Gefühl dafür, welche Design-Elemente zu Stolpersteinen oder großen Löchern im Budget führen können.
Je detaillierter, aufwendiger und hochwertiger gestaltet ein Kleidungsstück ist, desto teurer ist es meistens am Ende. Das klingt so erstmal total logisch, allerdings macht man sich als Kunde selten darüber Gedanken, dass der schöne Gürtel in der Hose, die aufwendige Knopfreihe auf der Bluse, die raffinierten Puffärmel, die hochwertige Baumwoll-Spitze sowie lässige Taschen in einem Kleid den Produktionspreis – und so auch den Endverbraucherpreis – schnell um einige Euros in die Höhe schießen lassen. Aber ich persönlich liebe Kleidungsstücke mit dem gewissen Etwas.
Denn genau diese Extras sind es, die Stücke besonders und einzigartig machen. Umso härter war für mich die Erkenntnis, dass es genau diese Dinge sind, die die Produktionskosten nach oben treiben. Hier sind wir also immer in der Situation einen perfekten Mittelweg zu finden, sprich ein schönes Design mit toller Qualität zu realistischen Preisen.
Genau dieser Prozess hat bei mir persönlich mittlerweile dazu geführt, dass ich Kleidungsstücke, Fertigungsweisen, Details und Preise von Kleidung ganz anders betrachte. Ich schaue mir mittlerweile jedes Carelabel an, gucke welche Materialien verwendet wurden und wo das Kleidungsstück produziert wurde. Wenn ich also bei einem Spitzenkleid aus Baumwolle (die meisten Spitzenteile werden übrigens aus Polyester-Spitze hergestellt – bspw. die Marke Self-Portrait – achtet mal drauf) einen Preis von 350-400€ auf dem Etikett lese und weiß, dass das Label ein Start-Up ist, in Europa produziert und sehr wahrscheinlich deutlich kleinere Ordermengen als großen Ketten hat (und somit auch teurere Stückpreise), dann verstehe ich den Preis von 350-400€ und weiß, dass dieser Preis mehr als gerechtfertigt ist und das Label es gar nicht anders kalkulieren kann, wenn es weiterhin am Markt bestehen möchte.
Was ich damit sagen will ist, dass hinter all der Kleidung in unserem Schrank so viel mehr steckt als nur das fertige Produkt was wir als Kunde sehen. Uns als Modelabel kostet jedes einzelne Kleidungsstück im Prozess mindestens 6 Monate Zeit und Geld, denn auch Samplekosten kommen auf einen zu, ohne das man bis Dato überhaupt ein fertiges Produkt in den Händen hält. In jedem Kleidungsstück steckt so viel Arbeit, Zeit, Herzblut, Geduld, privates Geld und am Ende auch immer ein Risiko.
Wir alle leben aktuell in einer sehr ausgeprägten Fast Fashion und Sale Kultur. Diese Entwicklung ist ehrlich gesagt extrem schädlich und alles andere als förderlich für einen gesunden Mode-Zyklus. Ich hoffe, dass wir alle langfristig wieder mehr Wertschätzung für das fachliche Handwerk, Materialien, Details und Produktionsprozesse entwickeln und Kleidung als das sehen was es ist: eine wundervolle Art und Weise sich hübsch zu kleiden, die einfach nicht 3,50€ kosten kann und darf.